Engpass gefährdet wirtschaftlichen Erholungsprozess – Importbeschränkungen verhindern Beschaffungsalternativen
HAGEN – 22. Dez. 2020. Stahl – vor allem Flachstahl – ist Mangelware. Knapp 90 Prozent der Zulieferer haben Beschaffungsprobleme. Das zeigen erste Ergebnisse einer Blitzumfrage des Industrieverbandes Blechumformung (IBU) vor Weihnachten. Ein Auslöser ist die unterschiedliche Entwicklung von Stahlangebot und -nachfrage. Hinzu kommt, dass Einfuhrbeschränkungen das Ausweichen auf Stahl aus Drittländern erschweren. Der IBU ist alarmiert: „Dieser Versorgungsengpass gefährdet den Erholungsprozess bei Zulieferern und Automobilherstellern“, fürchtet Geschäftsführer Bernhard Jacobs. „Auf die Pandemiekrise folgt die Beschaffungskrise. Die Marktversorgung in Europa muss Vorrang haben vor Anti-Dumping-Maßnahmen und politisch motivierten Importbeschränkungen.“
Dramatische Versorgungslage bedroht Lieferfähigkeit
Die Beschaffungsprobleme betreffen sowohl planmäßig bestellte Mengen als auch Mehrbedarfe. Laut Umfrage haben 86 Prozent der Unternehmen Versorgungsprobleme beim Stahleinkauf über Servicecenter. Auf Platz zwei folgt der Direktbezug bei Stahlherstellern. Wobei auch die Servicecenter naturgemäß vom Hersteller abhängen. Beide Bezugsquellen konfrontieren verarbeitende Unternehmen zurzeit mit Lieferzeiten bis weit ins neue Jahr. Manche bieten Jahresverträge gar nicht mehr an. Als Folge befürchten laut IBU-Erhebung über 70 Prozent der Mitglieder Produktionsunterbrechungen im ersten Quartal 2021. 96 Prozent sehen durch die dramatische Versorgungslage ihre Lieferfähigkeit bedroht. „Teilweise müssen sie bereits jetzt Mengen reduzieren, weil das Vormaterial fehlt. Zusätzlicher Bedarf ist gar nicht oder nur unter größten Mühen zu decken“, unterstreicht Jacobs.
Hohe Preise
Parallel dazu erleben Einkäufer massive Preisaufschläge. Auch im Vertragsgeschäft ist die Rede von deutlichen Erhöhungen. Gut die Hälfte der Preiseverhandlungen ist bereits gelaufen. „Das hat niemand kommen sehen: Am Ende eines Stahljahres, das lange unter dem Vorzeichen einer großen Krise stand, zeigen die Märkte eine fulminante Aufwärtsbewegung. Stahl- und Rohstoffpreise haben inzwischen nicht nur das Vor-Corona-Niveau übertroffen, sondern langjährige oder sogar historische Höchststände erreicht“, registriert auch Andreas Schneider von Stahlmarkt Consult.
EU-Stahlangebot wächst langsamer als Nachfrage
Ein Grund: Das europäische Stahlangebot wächst langsamer als die Nachfrage. Dazu Andreas Schneider: „Kern der Entwicklung ist, dass die im Sommer vorherrschende Erwartung einer nur zögerlichen Erholung der Industrie und des Welthandels von der tatsächlichen Entwicklung überholt worden ist.“ Produzenten haben die Hochöfen nicht parallel zum Bedarfsanstieg hochgefahren.
Importprobleme verhindern Beschaffung aus Drittländern
Einfuhren aus Drittländern könnten dem Mangel entgegenwirken. Aber da wirken Barrieren – über 60 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass geltende EU-Importbeschränkungen das Versorgungsproblem verstärken. Als Folge erwarten Experten für 2020 die schwächsten Einfuhrzahlen seit 2015. Aktuell steht die EU kurz davor, neue Zölle gegen Stahleinfuhren aus der Türkei zu verhängen. Diese gewollte Abschottung schützt europäische Stahlproduzenten und belastet wiederum die Stahlverarbeiter, die auf das Vormaterial angewiesen sind.
„Können es uns nicht leisten, Positivtrend zu gefährden“
Der IBU macht nun mit Nachdruck auf diese gravierenden Beschaffungsprobleme der Stahlverarbeiter aufmerksam. Und regt erneut an, Einfuhrbeschränkungen zu hinterfragen: „Unsere Mitglieder sehen gerade ein paar Lichtblicke. Wir können es uns jetzt nicht leisten, diesen Positivtrend durch einen Materialengpass zu gefährden.“ Text 3.601 Z. inkl. Leerz
Der IBU in Hagen vertritt als Bundesverband circa 230 Mitgliedsunternehmen der blechumformenden Industrie und deren Lieferanten. Diese überwiegend aus mittelständischen Familienunternehmen bestehende Branche wird durch eine industrielle Fertigung für marktmächtige Kunden geprägt. Das Umsatzvolumen des Wirtschaftszweigs 25.50 betrug im Jahr 2015 rund 19,17 Milliarden Euro. Die Verbandsmitglieder sind mehrheitlich Zulieferer der Automobil- und Elektronikindustrie, des Maschinen- und Anlagenbaus, der Möbel- und Bauindustrie sowie der Medizintechnik.
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