Mittelständische Unternehmen schöpfen gemäß Umfrage der Technische Hochschule Mittelhessen Industrie 4.0-Potenzial zu wenig aus
Limburg a.d. Lahn, 2. Juli 2020 – Häufig werden im Zuge der Industrie 4.0 und der Digitalisierung die sich wandelnden Geschäftsprozesse betrachtet. Doch viel bedeutender ist die Frage, inwieweit durch die Möglichkeiten der Digitalisierung bereits Veränderungen in die Geschäftsmodelle eingezogen sind. Dies beleuchten der Industrie 4.0-Verein „SEF Smart Electronic Factory e.V.“ ( www.SmartElectronicFactory.de) und sein Mitglied Technische Hochschule Mittelhessen (THM). Grundlage ist die auf einer aktuellen Online-Befragung basierende Studie „Stand der Digitalisierung von Geschäftsmodellen in der Industrie 4.0 im Mittelstand“ der THM. Diese zeigt unter anderem, dass überwiegend das physische Produkt im Mittelpunkt des Geschäftsmodells steht und weniger die Service-Ausrichtung.
Der SEF Smart Electronic Factory e.V. betreibt mit seinen Mitgliedern aus Wirtschaft, Forschung und Wissenschaft in zwei realen Fabriken umfassende Forschungs- und Entwicklungsumgebungen für Industrie 4.0-Anwendungen. Alle dabei entwickelten Lösungen haben zum Ziel, Industrie 4.0 – insbesondere für den Mittelstand – wirtschaftlich und nutzbringend in die Praxis zu bringen.
Im Juni 2020 hat das SEF-Mitglied THM eine Umfrage durchgeführt, um tiefere Einblicke in den aktuellen Entwicklungsstand der Industrie 4.0-Geschäftsmodelle in mittelständischen Unternehmen zu erhalten.
Deutscher Mittelstand auf dem Prüfstand der Digitalisierung
Es wurden vorwiegend mittelhessische Unternehmen – mittels Online-Fragebogen – befragt. „Die Region Mittelhessen verfügt über eine ausgesprochen starke Industrielandschaft mittelständischer Unternehmen. Aufgrund der Vielfalt der Branchen, Größenverteilung und Struktur entsteht hier ein repräsentatives Bild“, erklärt Prof. Dr. Gerrit Sames, Fachbereich Wirtschaft der Technische Hochschule Mittelhessen. Der Fragebogen der THM enthielt insgesamt 73 Fragen und gliederte sich in die drei Bereiche „Allgemeine Angaben“, „Geschäftsmodell-Erweiterungen“ und „Hinderungsgründe“. Es haben 107 Unternehmen an der Befragung teilgenommen. Der Maschinen- und Anlagenbau hat mit 37,4 Prozent der Teilnehmer den prozentual größten Anteil.
Der Bereich „Geschäftsmodell-Erweiterungen“ bildet den thematischen Schwerpunkt mit insgesamt 12 Kategorien wie z.B. Serviceausrichtung im Geschäftsmodell, Produktindividualisierung, Bestands- und Ersatzteilmanagement, Datenaufbereitung/-auswertung und vieles mehr. Um den (durchschnittlichen) Digitalisierungsgrad der 12 Kategorien berechnen zu können, wurde den erhobenen Daten ein entsprechender Zahlenwert zugeordnet. Die Befragungsdaten erhielten bei Fragestellungen mit vier möglichen Ausprägungsstufen einen Zahlenwert zwischen eins (Stufe 1) und vier (Stufe 4).
Produkte werden zunehmend digitalisiert
Die Ergebnisse zeigen, dass der Mittelstand nach wie vor das physische Produkt in den Mittelpunkt des Geschäftsmodells stellt. Die Monetarisierung liegt noch immer im Wesentlichen im Verkauf der Produkte. Vielfach sind die Produkte bereits konnektiv und auch mit Sensoren und Verarbeitungs- und Rechenleistung ausgestattet. Im Hinblick auf die Digitalisierung ihres Produktportfolios sind die Unternehmen weit fortgeschritten: 36 Prozent der Befragten haben ihre Produkte mit einer Industrial Ethernet-Schnittstelle oder einem Zugang zum Internet ausgerüstet.
Der Digitalisierungsgrad der Produkte übersteigt in den befragten Unternehmen bis auf eine Ausnahme den Wert 2,00. Smarte Produkte (Produkte mit Kommunikationsfähigkeit und Datenverarbeitungsmöglichkeit) scheinen eine entsprechende Bedeutung bei den Unternehmen erreicht zu haben.
Zu wenig digitaler Service
„Ein immenses Potenzial für digitale Wertschöpfung befindet sich auch in digitalen Services. Hier gibt es hohen Handlungsbedarf“, erklärt Prof. Dr. Sames. Beispielsweise zu den Produkten korrespondierende IT-Services werden gemäß der Umfrage zu wenig angeboten. So gaben 57 Prozent der befragten Teilnehmer an, keine speziellen IT-Services zu ihren Produkten anzubieten. Lediglich bei 28 Prozent der Unternehmen gibt es in geringem Umfang produktbezogene IT-Services für die Kunden. Zudem bieten 2/3 der befragten Unternehmen ihren Kunden keine Apps für mobile Geräte zu den Produkten. Auch digitale Schulungen/Webinare werden von 75 Prozent der teilnehmen-den Unternehmen bisher nicht angeboten.
Handlungsbedarf bei Digitalisierung im Mittelstand
„Es lässt sich festhalten, dass der Digitalisierungsgrad in den Unternehmen unabhängig von der Größe und Branche niedrig ist. Befragte Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern verzeichnen im Vergleich zu den restlichen Firmengrößen den höchsten Digitalisierungsgrad. Die Auswertungsergebnisse sind im Hinblick auf die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Mittelstands nicht zufriedenstellend. Weitere Digitalisierungsmaßnahmen im deutschen Mittelstand sind dringend geboten, um die noch gute Position im globalen Wettbewerb zu halten“, erklärt Prof. Dr. Sames.
Die vollständige Studie steht zum kostenfreien Download bereit unter:
http://digdok.bib.thm.de/volltexte/2020/5357/pdf/THM_Hochschulschriften_13_Endfassung.pdf
Der SEF Smart Electronic Factory e.V. ist ein im Jahr 2015 gegründeter Verein, der Industrie 4.0-fähige Lösungen – mit Fokus auf die Anforderungen des Mittelstandes – entwickelt. In der Smart Electronic Factory, eine Elektronikfabrik in Limburg a. d. Lahn, werden Industrie 4.0-Szenarien und -Anwendungen unter realen Produktionsbedingungen entwickelt und erprobt. Der Verein setzt sich aus verschiedenen Unternehmen sowie universitären Einrichtungen und Instituten zusammen. Zentrale Zielsetzung ist es, Unternehmen den Weg in die vierte industrielle Revolution zu ebnen. www.SmartElectronicFactory.de
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