Matthias Dornfeldt
Politikwissenschaftler
Usbekistan als bedeutendstes Land Zentralasiens betreibt heute erfolgreich eine eigenständige, multivektorale Außenpolitik. Seit der Wahl vom 4. Dezember 2016, als Shavkat Mirziyoyev zum zweiten Präsidenten des Landes gewählt wurde, hat sich Usbekistan geöffnet und zahlreiche Reformen in diversen Bereichen des öffentlichen Lebens und der Politik implementiert.
Usbekistan bildet nicht nur das Zentrum Eurasiens, sondern auch eine der Hauptkomponenten der „Neuen Seidenstraße“. Daher hat die Regierung des bevölkerungsreichsten Staates Zentralasiens die Gelegenheit ergriffen, im Rahmen des Projektes eine Führungsrolle bei der überregionalen Zusammenarbeit zu übernehmen. Konflikte mit den Nachbarländern Kirgistan und Tadschikistan um die Wasserversorgung des Unterlaufstaates Usbekistan wurden entschärft, bilaterale Grenzübergänge geöffnet und Verkehrsverbindungen zu Land und in der Luft wiederhergestellt. Usbekistan setzt hier auf gemeinsames Wirtschaftswachstum, Sicherheit und Stabilität.
Zudem hob die Regierung in Taschkent die Beziehungen zu Kasachstan auf eine partnerschaftliche Basis. Auch den Herausforderungen der ökologischen Katastrophe des Aralsees stellte sie sich und sucht zu ihrer Lösung nach internationaler Kooperation. Hiermit tut Usbekistan genau das, was die EU in ihrer Zentralasienstrategie unter der Ratspräsidentschaft Deutschlands 2007 gefordert hat. Mit seinen regionalen Initiativen im postsowjetischen Mittelasien hat Präsident Mirziyoyev den Frieden in der Region erfolgreich aktiv gefördert, entwickelt dadurch neue Regeln und setzt zukunftsweisende Standards.
Für 2021 ist bereits eine bedeutende internationale Konferenz in Usbekistan unter dem Titel „Zentral- und Südasien. Regionale Verbindungen. Herausforderungen und Möglichkeiten“ geplant. Hierbei soll es um die Verbesserung der Konnektivität des zentralasiatischen Raums mit anderen wichtigen Regionen in Eurasien gehen.
Eine herausragende Rolle spielt dabei die Errichtung des Eisenbahnkorridors Usbekistan – Kirgistan – Volksrepublik (VR) China, die das Verkehrspotenzial der Region erweitern und den Nukleus des Wirtschaftsraumes VR China – Zentralasien – Westasien bilden soll.
Die Route entlang der „Neuen Seidenstraße“ ist deshalb von großer Bedeutung, weil sie den kürzesten Weg von der VR China nach Europa und in den Nahen und Mittleren Osten darstellt.
Im Vergleich zu den bestehenden Transitinfrastrukturen wird die Entfernung um 900 Kilometer und die Lieferzeit um mindestens sieben Tage reduziert.
Um die Entstehung eines Netzwerks nachhaltiger, strategischer Kooperation zwischen den Regionen Zentral- und Südasien fördern, ist die Republik Usbekistan besonders an der Umsetzung von Projekten in den Bereichen der sicheren Verwendung von Energierohstoffen, dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sowie der nachhaltigen Logistik interessiert.
Eine besondere Priorität der usbekischen Regionalpolitik gilt den Beziehungen zum Nachbarstaat Afghanistan und dessen politischer, sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Stabilität. Afghanistan gehört geographisch ebenfalls zu Zentralasien. Afghanistan gehört geographisch ebenfalls zu Zentralasien. Im Norden des Landes lebt eine usbekische Minderheit, die durchaus politischen Einfluss in Kabul besitzt. Usbekische Wissenschaftler betrachten Afghanistan und Usbekistan als eine Zivilisation, als einen zusammenhängenden Kulturraum.
Usbekistan tritt seit seiner Unabhängigkeit international als Fürsprecher des Staates am Hindukusch auf und organisiert hochrangige Konferenzen im eigenen Land zu den Entwicklungen und zukünftigen Herausforderungen in Afghanistan. 1997 war das Land aktiv an der Gründung der Kontaktgruppe „Nachbarn und Freunde Afghanistans“ der Vereinten Nationen (VN) im 6+2 Format beteiligt.
Nach der Wahl des zweiten Präsidenten 2016 bekam die usbekische Afghanistan- Politik einen neuen Impuls und wurde auf die Grundlage eines ganzheitlichen Ansatzes gestellt. Präsident Mirziyoyev ist der Ansicht, dass die Sicherheit Afghanistans auch eine Frage der Sicherheit seines Landes ist und die Angelegenheit des Friedensprozesses in Afghanistan noch stärker auf die regionale und globale Agenda gesetzt werden muss. Deshalb war Usbekistan auch am Zustandekommen der Gespräche zwischen der US-Administration unter Präsident Donald Trump und den paschtunischen Taliban in Katar beteiligt.
Ein weiterer wichtiger Meilenstein im Kontext der Stärkung des Friedensprozesses in Afghanistan stellte die internationale Afghanistan Konferenz dar, die im März 2019 in Taschkent in Anwesenheit der Präsidenten Afghanistans und Usbekistans sowie hochrangiger Politiker aus der Region und Vertreter der internationalen Gemeinschaft stattfand.
Usbekistan unterstützt seinen afghanischen Nachbarn vor allem auch ökonomisch: Über einen Zeitraum von zehn Jahren beliefert Usbekistan Afghanistan bereits mit Strom. Außerdem engagiert sich die Regierung bei der Verlängerung der Eisenbahnverbindung zwischen der usbekischen Stadt Termez und der nordafghanischen Metropole Mazar-i-Scharif. So entsteht mit ihrer Unterstützung einerseits die Eisenbahnlinie Mazar-i-Sharif-Kabul-Peshawar mit Zugang zu den pakistanischen Tiefseehäfen Gwadar und Karachi und andererseits die Bahnverbindung Mazar-i-Sharif-Herat-Kandahar mit Zugang zum iranischen Hafen von Chobahar.
Doch beschränkt sich die Republik Usbekistan nicht nur auf die Etablierung von strategischen Verkehrskorridoren, sondern unterstützt auch die Umsetzung von Energieprojekten, wie die Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien-Erdgasleitung (TAPI), CASA-1000 und die Übertragungsleitung Surkhon-Puli-Khumri-500. Weiterhin wurde in der südusbekischen Stadt Termez ein Ausbildungszentrum speziell für Afghanen eingerichtet. Ein friedliches Afghanistan ist für Usbekistan, als Land ohne eigenen Meereszugang, als Transitland zu den Häfen des Persischen Golfs sowie des Indischen Ozeans besonders wichtig.
Usbekistans außenpolitische Aktivitäten und Initiativen finden hauptsächlich innerhalb der internationalen Organisationen, Vereinte Nationen und Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) statt. Ein großer Erfolg der usbekischen Diplomatie ist die Wahl in den VN-Menschenrechtsrat für den Zeitraum 2021-2023, die im Rahmen der 75. Tagung der VN-Generalversammlung am 13. Oktober 2020 stattfand. Damit ist die zentralasiatische Republik zum ersten Mal in diesem multilateralen Gremium vertreten. Diese Errungenschaft sollte im Kontext der usbekischen Reformen auf diesem Themengebiet, gerade bei der Verbesserung der Rechte und Lebensbedingungen von Frauen, Jugendlichen und Kindern, betrachtet werden.
Wichtige Partnerländer Usbekistans sind die Nachbarstaaten in Zentralasien, die Russische Föderation und die VR China, doch seit Beginn der Wirtschaftsreformen des Präsidenten und seiner Regierung zunehmend auch die Europäische Union – insbesondere Deutschland.
Der usbekische Präsident hatte die Bundesrepublik vom 21. bis 22. Januar 2019 als erstes usbekisches Staatsoberhaupt seit 18 Jahren offiziell besucht. Auf Einladung der Bundeskanzlerin Angela Merkel bereiste Shavkat Mirziyoyev hierbei Berlin und München und nahm an einem hochrangigen bilateralen Wirtschaftsforum teil. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stattete daraufhin der Hauptstadt Taschkent und der UNESCO-Kulturerbestätte Chiwa vom 27. bis 29. Mai 2019 einen Gegenbesuch ab. 2006 hatte er Usbekistan zuletzt in seiner Funktion als Bundesaußenminister besucht. Begleitet wurde er von 20 Spitzenvertretern der Deutschen Wirtschaft. Dies spiegelt deutliches Interesse an stärkerer wirtschaftlicher Kooperation sowie an Investitionen in den usbekischen Markt wider.
Während der beiden Zusammenkünfte in Berlin und Taschkent wurden auf höchster politischer Ebene die Stärkung der bilateralen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen sowie die verstärkte Zusammenarbeit auf multilateraler Ebene, insbesondere in Bezug auf die Sicherheitslage in Afghanistan, thematisiert. Die weitreichenden Reformen des Präsidenten und seiner Regierung, welche die Gesellschaft Usbekistans betreffen, werden von den relevanten deutschen Akteuren nachdrücklich unterstützt.
Usbekistan ist interessiert an ausländischen Direktinvestitionen und bietet hierfür nicht nur alle rechtlichen Voraussetzungen und eine frei konvertierbare Währung, sondern auch junge und gut ausgebildete Arbeitskräfte sowie eine gute Infrastruktur. Die Lebenshaltungskosten sind vergleichsweise niedrig und das Land ist sicher und stabil. Aktuell wird im Rahmen eines nationalen Projektes außerdem die Digitalisierung enorm vorangetrieben.
Präsident Shavkat Mirziyoyev gilt im Westen als engagierter Reformer im GUS-Raum und ist somit ein gern gesehener Besucher – vor allem, wenn es um den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen geht.
Die usbekische Führung erhofft sich zukünftig ein stärkeres Engagement der EU in Zentralasien, besonders hinsichtlich des Konnektivitätsansatzes der supranationalen Organisation. In diesem Zusammenhang hatte die 2019 von der EU aktualisierte Zentralasienstrategie hohe Erwartungen geweckt. Zur Realisierung des Konnektivitätsansatzes ist die Errichtung eines großen Logistikzentrums in Usbekistan geplant, damit wichtige Infrastrukturmaßnahmen effektiv koordiniert werden können. Hierfür wird eine Analyseabteilung aufgebaut, die sich mit den relevanten Entwicklungen und Herausforderungen beschäftigen wird.
Auf der 75. Vollversammlung der Vereinten Nationen, Ende September in New York, thematisierte der usbekische Präsident die Notwendigkeit, die globale Armut zu bekämpfen, die besonders durch den Ausbruch von Covid-19 eine enorme Steigerung erlebe. Er forderte bei seiner Ansprache das Problem gemeinsam anzugehen und diesbezüglich ein Gipfeltreffen einzuberufen. Hierfür schlug er die usbekische Hauptstadt Taschkent als Austragungsort vor, da Usbekistan in den letzten Jahren große Fortschritte bei der wirtschaftlichen Entwicklung und der Armutsbekämpfung gemacht hätte. Tatsächlich hat sich hier das durchschnittliche Monatseinkommen pro Kopf seit Mirziyoyevs Amtsantritt verdoppelt.
Des Weiteren stehen auch andere gesellschaftliche Fragen bei der derzeitigen usbekischen Administration hoch oben auf der politischen Agenda. Im Rahmen einer internationalen Konferenz, die vom 12. bis 13. August 2019 in Samarkand auf Initiative des usbekischen Präsidenten stattfand, wurden die Rechte von Jugendlichen umfassend thematisiert. Das Forum mit dem Titel „Jugend 2020: Globale Stabilität, Nachhaltige Entwicklung und Menschenrechte“, wurde von zahlreichen hochrangigen Vertretern der VN, von relevanten Regionalorganisationen sowie von internationalen Nichtregierungsorganisationen besucht. Dabei betonte die usbekische Seite die Notwendigkeit ihrer Initiative, die Rechte der Jugend international im Rahmen der VN zu kodifizieren.
Usbekistans Außen- und Regionalpolitik hat sich seit der Wahl von Shavkat Mirziyoyev vor vier Jahren gewandelt. Wichtige Reformen wurden eingeleitet, das Land hat sich geöffnet und bringt regelmäßig wichtige Initiativen und politische Vorschläge im Rahmen von internationalen Organisationen ein, veranstaltet jedoch auch im Inland bedeutende Konferenzen, die global Widerhall finden.
Darüber hinaus hat das zentralasiatische Land die Führungsrolle bezüglich überregionaler Kooperation übernommen und ist ein wichtiger Akteur im afghanischen Friedens-, Versöhnungs- und Wiederaufbauprozess. Abschließend lässt sich feststellen, dass sich die Beziehungen zur EU und zu Deutschland seit 2016 intensiviert haben.
Usbekistan hat durch seine exzellente Lage im Zentrum der „Neuen Seidenstraße“ und durch sein vielversprechendes Arbeitskräftepotenzial in absehbarer Zeit die Chance, der wichtigste Wirtschaftspartner Deutschlands und seiner Unternehmen zu werden.
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