Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Verteilung von Inflationsausgleichsprämien

Nico Bischoff, Rechtsanwalt

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Gewährung von freiwilligen Leistungen wird nicht dadurch eingeschränkt, dass der Arbeitgeber bereits vor der Beteiligung des Betriebsrats Zahlungen erbringt, die er nicht mehr zurückfordern kann. Kommt es später zu einer abweichenden Einigung oder zum Spruch der Einigungsstelle über eine andere Verteilung, können Mehrkosten entstehen, weil der Arbeitgeber die mitbestimmungswidrig gezahlte Leistung aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht mehr zurückfordern kann. Die daraus resultierende Erhöhung des Dotierungsrahmens ist Folge des mitbestimmungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers und fällt in seinen Risikobereich.

(LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 08.02.2024 – 2 TaBV 1/24 – Leitsatz des Verfassers)

Die Arbeitgeberin zahlte im Januar 2023 eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 750,00 EUR an alle außertariflichen Angestellten aus, für Teilzeitbeschäftigte entsprechend ihrer Beschäftigungsquote. Eine Beteiligung des Betriebsrats hinsichtlich der Aufstellung von Kriterien für die Verteilung der Prämie an AT-Angestellte lehnte die Arbeitgeberin ab.
Mit Wirkung ab 01.06.2023 wurde zwischen den zuständigen Tarifparteien ein Entgelttarifvertrag geschlossen. Nach den Regelungen des Tarifvertrags sollten Angestellte mit einem Aufgabengebiet, das höhere Anforderungen stellt, als die höchste Entgeltgruppe verlangt, nicht unter den Geltungsbereich fallen. Gleichzeitig wurde vereinbart, dass jeder Beschäftigte in Vollzeittätigkeit jeweils mit der Oktober-Entgeltabrechnung 2023 und mit der Oktober-Entgeltabrechnung 2024 eine Prämie in Höhe von 1.000,00 EUR erhalten sollte.
Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, ihm stehe ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zu. Er leitete ein Beschlussverfahren gegen die Arbeitgeberin ein, mit dem er die Einsetzung einer Einigungsstelle für den Regelungsgegenstand „Inflationsausgleich für AT-Mitarbeitende“ bezweckte.
Das Arbeitsgericht wies den Antrag des Betriebsrats unter anderem mit der Begründung zurück, dass die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei, wenn ei-ne mitbestimmungspflichtige Maßnahme bereits endgültig beschlossen und durchgeführt sei. Das LAG hob dagegen den Beschluss des Arbeitsgerichts auf und setzte eine Einigungsstelle mit dem vom Betriebsrat beantragten Regelungsgegenstand ein.
Der Arbeitgeber kann zwar bei freiwilligen Leistungen grundsätzlich mitbestimmungsfrei darüber entscheiden, ob er die Leistung gewährt, welchen Dotierungsrahmen er dafür zur Verfügung stellen will und an welchen Empfängerkreis er diese zu erbringen bereit ist. Gewährt er aber solche Leistungen, dann unterliegt im Rahmen dieser Vorgaben die Entscheidung darüber, nach welchen Kriterien sich die Berechnung der einzelnen außertariflichen Leistungen und ihre Höhe im Verhältnis zueinander bestimmen sollen, gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats.
Auch die Tatsache, dass im Nachgang zur Gewährung der Prämie ein die Entgeltbedingungen regelnder Tarifvertrag geschlossen wurde, reichte dem LAG für die Annahme einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle nicht aus. Im Hinblick auf sog. AT-Angestellte, die keine leitenden Angestellten sind, aber wegen ihrer Tätigkeit vom persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags nicht erfasst werden, bestehe das volle Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
Ferner werde das Mitbestimmungsrecht auch nicht dadurch eingeschränkt, dass der Arbeitgeber bereits vor der Beteiligung des Betriebsrats Zahlungen erbringt, die er später nicht mehr zurückfordern kann. Kommt es später zu einer abweichenden Einigung oder zum Spruch der Einigungsstelle über eine andere Verteilung, können Mehrkosten entstehen, weil der Arbeitgeber die mitbestimmungswidrig gezahlte Leistung aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht mehr zurückfordern kann. Zwar kann dadurch der ursprünglich vorgesehene Dotierungsrahmen überschritten werden. Diese Folge des mitbestimmungswidrigen Verhaltens führt aber nicht zu einer Beschränkung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats.

Fazit:

Das LAG hat mit der oben zitierten Entscheidung die bisherige Rechtsprechung des BAG bekräftigt. Dabei hat es insbesondere die für die Praxis der Betriebsratsarbeit bedeutende Frage nach einer Erhöhung des Prämienvolumens bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers im Falle einer mitbestimmungswidrigen Verteilung erörtert. Weder lässt danach die bereits abgeschlossene Verteilung das Mitbestimmungsrecht entfallen, noch führt die vollständige Auskehr der Prämien an Mitarbeiter zu einem Ausschluss des Mitbestimmungsrechts. Vielmehr geht die rechtswidrige Verteilung freiwilliger Leistungen ohne Beteiligung des Betriebsrates zulasten des Arbeitgebers. Im äußersten Fall – das hat bereits das BAG in seiner Entscheidung vom 14.06.1994 klargestellt – kann sich der erforderliche finanzielle Aufwand auf Arbeitgeberseite verdoppeln; nämlich dann, wenn keiner der ursprünglichen Empfänger des Sonderbonus zum Kreise derjenigen gehört, die nach der mitbestimmten Entscheidung begünstigt sein sollen.

Betriebsräte sind gut beraten, bei freiwilligen Leistungen, insbesondere bei Inflationsausgleichsprämien, des Arbeitgebers frühzeitig auf ihr Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Kriterien für die Verteilung des Prämienvolumens zu bestehen. Eine Verringerung des Dotierungsrahmens durch eine vorherige mitbestimmungswidrige Entscheidung des Arbeitgebers ist nach den Ausführungen der oben dargestellten Rechtsprechung jedenfalls nicht zu befürchten.

Nico Bischoff, Rechtsanwalt
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