Ein leidenschaftliches Plädoyer für den Agrarstandort Deutschland und den Erhalt der regionalen, innovativ-nachhaltigen Landbewirtschaftung hielt Dr. Dirk Köckler auf dem AGRAVIS-Versuchsgut St. Mauritz in Münster. „Gerade jetzt führt uns die politische Zeitenwende, die einhergeht mit einer Phase der Knappheit, vor Augen, welchen herausragenden Stellenwert die Versorgungs- und Ernährungssicherheit in Deutschland und der Welt hat“, unterstrich der Vorstandsvorsitzende der AGRAVIS. „Dieser Herausforderung stellen wir uns sehr gern und ernsthaftig – und werben dafür die Mitwirkung aller Player entlang der Wertschöpfungskette ein.“
Politik muss Leitplanken setzen
Der Unternehmenschef wies im gleichen Atemzug allerdings darauf hin, dass es dafür stabile Leitplanken brauche. „Die muss die Politik setzen. Und sie müssen so gesetzt werden, dass der Landwirtschaft und den vor- und nachgelagerten Bereichen eine dauerhafte wirtschaftliche Perspektive bleibt.“ Zumindest für 2023 herrsche nun seit wenigen Wochen Klarheit darüber, dass die zusätzliche Flächenstilllegung von vier Prozent ausgesetzt wird und auf die Fruchtfolgevorgabe zum Verbot von Stoppelweizen verzichtet wird. Die Landwirtschaft habe nun mehr Planungssicherheit, auch wenn die vier Prozent Stilllegungsflächen für eine nachhaltige Ernährungssicherheit in Deutschland nur bedingt eine Rolle spielen, da nicht auf jeden Flächen Backqualitäten erreicht werden können.
Herausfordernde Rahmenbedingungen erfordern umsetzbare Lösungen
Die äußeren Rahmenbedingungen seien immens schwierig, sagte Dr. Köckler. Der Ukraine-Krieg und seine Folgen für die Agrar- und Energiemärkte, die Kostensteigerungen auf ganzer Linie vom Treibstoff bis zur Verpackung, der Klimawandel, die angespannte Lage bei Lieferketten und Logistik: „Jede für sich allein wäre schon fordernd genug. Da sie nun zeitgleich auftreten, sind wir umso mehr gezwungen, in umsetzbaren Lösungen zu denken und zu handeln. Denn in jeder Herausforderung liegen auch Chancen.“
AGRAVIS und Genossenschaften haben Lösungsansätze parat
Wie Dr. Dirk Köckler weiter ausführte, befindet sich im „Instrumentenkoffer“ der AGRAVIS und den Genossenschaften ein ganzes Bündel von Lösungsansätzen. „Als systemrelevantes Unternehmen bleiben wir gemeinsam mit dem genossenschaftlichen Verbund der starke regionale Partner für die Versorgungssicherheit der Landwirtschaft und der Bevölkerung.“ Wie wichtig regionale Strukturen seien, zeigten die nach wie vor gestörten Lieferketten. „Deshalb werden wir auch weiterhin zusammen mit unseren genossenschaftlichen Partnern in leistungsfähige Logistikstandorte investieren. Wir bekennen uns zur Produktion von Nutztierfutter in der Kreislaufwirtschaft und bilden das mit unseren modernen Produktionsstätten ab – auch hier vielfach gemeinsam betrieben mit unseren regionalen genossenschaftlichen Partnern.“
Elementare Bestandteile der Kreislaufwirtschaft
Tierhaltung und Futterproduktion im Zusammenspiel mit dem Pflanzenbau sind für den AGRAVIS-Chef elementare Bestandteile der Kreislaufwirtschaft. „Landwirtinnen und Landwirte würden auch aus wirtschaftlichen Gründen am liebsten Brot- statt Futtergetreide anbauen. Das aber ist nun mal nicht auf jedem Acker möglich.“ Bei angepassten Fruchtfolgen mit breiter Risikostreuung und Anbaudiversifizierung fallen schwache Qualitäten und Nebenprodukte wie Schrote von Rapssamen oder Sonnenblumen sowie Kleien aus der Mehlherstellung an. „Das sind hochwertige Komponenten fürs Tierfutter“, so Köckler. Er unterstrich erneut, dass der Anteil an Brotgetreide bei der Mischfutterproduktion in den AGRAVIS-Werken aktuell weniger als fünf Prozent betrage. Fruchtarten wie Triticale oder Gerste seien hingegen für den menschlichen Verzehr bei uns ungeeignet. „Daher muss aus meiner Sicht bei der aktuellen Diskussion um Trog oder Teller auch genauer hingeschaut werden, um eine Schieflage in der Argumentation zu vermeiden. Lebensmittelproduktion und Tierfütterung schließen sich beim Getreideanbau nicht aus, sondern ergänzen sich.“ Aktuell schließe die Marktlage auch aus, dass Brotgetreide für die Tierernährung genutzt werde. „Diese falschen Darstellungen helfen nicht weiter. Hier wird auf Kosten der Landwirtschaft und der Futtermittelproduzenten Politik gemacht.“
Digitalisierung bietet Chancen und Möglichkeiten
Um die Versorgungssicherheit und einen möglichst hohen Grad an Selbstversorgung nicht zu gefährden, muss nach Ansicht Köcklers das Potenzial von Hochertragsstandorten ausgeschöpft werden, ohne damit die Anforderungen an einen nachhaltigen Pflanzenbau aufzugeben. „Hier eröffnet die Digitalisierung geeignete Wege, um das zu erreichen. Beispiele hierfür sind die teilflächenspezifische Bewirtschaftung oder die Erprobung von Feldrobotik.“ Mit der vollautomatischen Feldspritze ARA, die sich mittlerweile im praktischen Einsatz befindet, lässt sich bei Spezialanwendungen der Unkrautnachbehandlung durch einen effizienten und punktgenauen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln die Aufwandmenge erheblich reduzieren. Mit dem aktuell vorliegenden Verordnungsentwurf der EU zur Reduktion von chemischen Pflanzenschutzmitteln werde aber Hand angelegt an einen ertragreichen Pflanzenbau an sich. „Ein komplettes Verbot in Schutzgebieten entzieht der bäuerlichen Landwirtschaft die Grundlagen, genügt nicht der guten fachlichen Praxis und ist somit nicht nachhaltig.“ Statt pauschaler Verbote sei eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Denn verantwortungsbewusster Pflanzenschutz sei unverzichtbar, um Erträge und Qualitäten zu sichern. „Das gilt erst recht in diesen disruptiven Zeiten, die durch den Ukraine-Krieg ausgelöst wurden.“ Schädlingsbefall wie Fusarium im Weizen oder der Kartoffelkäfer könne ganze Ernten vernichten und die Versorgungssicherheit damit ins Wanken bringen. „Chemischer Pflanzenschutz bewegt sich in einem strengen Zulassungsrahmen“, so Köckler. Die Anzahl der zulässigen Wirkstoffe sei seit Jahren rückläufig. „Damit kann und muss die Landwirtschaft umgehen. Auch wir als Agrarhändler stellen uns darauf ein.“ Unbestrittenes Ziel des nachhaltigen Pflanzenschutz-Einsatzes müsse es sein, Innovationen zu treiben. „Wir bei der AGRAVIS tun das“, verweist der Unternehmenschef hier unter anderem auf die Smart Farming-Technologie, die die mechanische Unkrautbekämpfung und den gezielten Pflanzenschutzeinsatz revolutioniere. Dazu gehört für ihn aber auch ein ehrlicher Blick auf die Züchtung. „Randfruchtarten wie Hafer oder Leguminosen fristen weiterhin ein Schattendasein im Ackerbau, den nötigen züchterischen Fortschritt gibt es bisher nicht.“ In eine ideologiefreie und sachliche Auseinandersetzung schließt der AGRAVIS-Chef auch einen nüchternen Blick auf Crispr Cas ein. Diese Genom-Editing-Methode könne ebenfalls ein Baustein zur Ernährungssicherung und zur weiteren Reduzierung des Pflanzenschutzeinsatzes sein. Die AGRAVIS die verbandspolitischen Initiativen des Deutschen Raiffeisenverbandes zu dem vorliegenden Verordnungsentwurf der EU.
Das AGRAVIS-Versuchsgut St. Mauritz
Das AGRAVIS-Versuchsgut vor den Toren Münsters ist so etwas wie eine unternehmenseigene Herzkammer des modernen Pflanzenbaus, wo Jahr für Jahr rund 170 Getreidesorten in Anbauversuchen getestet werden. Auf dem Betrieb werden an gleicher Stelle auch Biodiversitätsmaßnahmen umgesetzt, zum Beispiel mehrjährige Blühstreifen. „Erste Monitoringergebnisse aus vergleichbaren Anlagen deuten darauf hin, dass gezielte und vernetzte Maßnahmen auf kleiner Fläche für das Artenaufkommen deutliche Verbesserungen bringen“, fasste Dr. Köckler zusammen. „Im Umkehrschluss heißt das, dass mehr Biodiversität nicht automatisch mehr Extensivierung bei den Produktionsflächen bedeutet. Entscheidend ist vielmehr die Effektivität der einzelnen Maßnahmen.“
Die AGRAVIS Raiffeisen AG ist ein modernes Agrarhandelsunternehmen in den Segmenten Agrarerzeugnisse, Tierernährung, Pflanzenbau und Agrartechnik. Sie agiert zudem in den Bereichen Energie und Raiffeisen-Märkte einschließlich Baustoffhandlungen soüberwie im Projektbau. Die AGRAVIS-Gruppe erwirtschaftet mit über 6.300 Mitarbeiter:innen 7,3 Mrd. Euro Umsatz und ist als ein führendes Unternehmen der Branche mit mehr als 400 Standorten überwiegend in Deutschland tätig. Internationale Aktivitäten bestehen über Tochter- und Beteiligungsgesellschaften in mehr als 20 Ländern und Exportaktivitäten in mehr als 100 Ländern weltweit. Der Unternehmenssitz ist Münster.
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