(DAV). Vor dem Hintergrund einer psychischen Erkrankung kann eine Scheidung unter Umständen eine so hohe Belastung darstellen, dass der erkrankte Ehepartner potentiell suizidgefährdet ist. Steht das der Scheidung entgegen?
Nach knapp dreißigjähriger Ehe teilte die Frau ihrem Mann 2016 mit, dass sie die Scheidung wolle. Spätestens seit 2017 lebte das Ehepaar dann innerhalb desselben Hauses getrennt. Der Mann, der zu der Zeit schwer alkoholabhängig war, wohnte in einer im Haus wohnlich ausgebauten „Bar“, schlief dort und hatte ein eigenes Bad. Seit 2019 lebt er in einer Pflegeeinrichtung. Infolge seiner Alkoholerkrankung leidet er am Korsakow-Syndrom, einer psychiatrischen Erkrankung. Seit 2020 hat er einen Betreuer, dessen Betreuung sich auch auf familienrechtliche Angelegenheiten erstreckt.
Scheidung wegen Alkoholerkrankung
2020 beantragte die Frau die Scheidung, die der Mann jedoch nicht akzeptieren wollte. Sein Betreuer machte geltend, dass die Scheidung ihn bis hin zu Selbstmordabsichten psychisch belasten würde. Aus zwei ärztlichen Bescheinigungen ging hervor, dass die Gefahr einer möglichen Suizidgefährdung nicht sicher abzuschätzen sei. Eigen- und fremdgefährdende Handlungen seien nicht unwahrscheinlich.
Nachdem das Amtsgericht den Scheidungsantrag noch abgelehnt hatte, stimmte das Oberlandesgericht in zweiter Instanz zu. Die Ehe des Paares sei gescheitert. Das sei dann der Fall, wenn eine Lebensgemeinschaft nicht mehr bestehe und auch nicht zu erwarten sei, dass die Ehepartner sie wiederherstellten.
Die Tatsache allein, dass der Mann in einer Einrichtung lebe, bedeute zwar nicht, dass keine Lebensgemeinschaft mehr bestehe. Der Mann habe aber schon vorher über längere Zeit eigenständig im Keller des gemeinsamen Haues gelebt. Darüber hinaus habe ihn seine Frau nie in der Einrichtung kontaktiert. Das könne man vor dem Hintergrund der Alkoholproblematik und den massiven gesundheitlichen Auswirkungen nur so verstehen, dass sie die Lebensgemeinschaft als endgültig aufgehoben ansehe.
Keine Scheidung wegen psychischer Erkrankung?
Auch die gesetzliche Härteklausel (§ 1568 BGB) komme hier nicht zum Tragen. Zwar komme diese in Frage, wenn die Scheidung für einen Partner aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes eine existenzbedrohende Wirkung mit Selbstmordgefahr haben könne. Dabei müsse man dann auch berücksichtigen, inwieweit eine psychische Erkrankung die Verantwortlichkeit des Betroffenen einschränke. Im vorliegenden Fall lebe der Mann jedoch in einer geschützten Einrichtung, in der man auf eine Eigen- oder Fremdgefährdung sachgerecht reagieren könne und müsse.
In einer solchen Situation sei es auch im Hinblick auf die Grundrechte desjenigen, der die Scheidung betreibe, nicht gerechtfertigt, ihm diese zu verwehren und ihn damit weiter an den anderen Ehepartner zu binden.
Oberlandesgericht Hamm am 02. November 2023 (AZ: 4 UF 87/23)
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