Autoren-Interview
Herr Landsberg, das Thema Anerkennung erhält in Ihrem Buch „Leadership Excellence – Wirkungsvolle Führung durch Achtsamkeit“ eine hohe Bedeutung. Aus welchem Grund?
TDL: Ich glaube auf kognitiver Ebene ist den Meisten klar, dass Basis für ein funktionierendes Miteinander die Achtung voreinander ist, ganz gleich ob im geschäftlichen oder im privaten Umfeld. Achtung steht in engem Zusammenhang mit „Be-Achtung“ und ist unmittelbarer Ausdruck menschlicher Wertschätzung. Gerade in verstärkt virtuellen und agilen Führungs- und Teamsituationen erhält das Thema zunehmende Bedeutung. Führungskräfte benötigen dahingehend in meinen Augen ein noch tieferes Verständnis für den Aspekt der Anerkennung – der stärksten menschlichen Urstrebung. Persönlich bin ich überzeugt, dass die erlebte Außenwelt stets eine Spiegelung der eigenen Innenwelt aus persönlichen Einstellungen, Glaubenssätzen und daraus folgenden Verhaltensmustern ist. Deshalb führt fehlende Achtung vor Mitarbeitern auch in kürzester Zeit zu „Ver-Achtung“ durch dieselben, weil es genau diese Resonanz sozusagen erzwingt. Erst wenn ich meine Mitmenschen spürbar achte, kann ich erwarten, dass ich selbst geachtet werde. Wobei diese Grundhaltung keinesfalls ausschließt, offen und klar seine Meinung und auch mal Kritik zu äußern, sofern es erforderlich erscheint. Übrigens ein häufiges Missverständnis, denn achtungsvoller Umgang meint nicht etwa, jedes Verhalten akzeptieren zu müssen. Doch ist das „Wie“ einer Rückmeldung immer von entscheidender Bedeutung und korrespondiert mit der inneren Haltung.
Aus der Psychologie wissen wir längst: Das höchste Streben des Menschen ist das Streben nach Anerkennung. In der tiefsten Bewusstseinsschicht steht dahinter letztlich das Sehnen nach vorbehaltlosem geliebt Sein. Aus meiner Sicht der stärkste menschliche Motivator überhaupt. Deswegen lohnt es sich besonders für eine Führungskraft, mit Wertschätzung und Anerkennung nicht zu geizen – entgegen dem zweifelhaften Oldschool-Motto: „Nicht geschimpft ist gelobt genug“ – weil die Mitmenschen es ihnen danken und solch positive, aufbauende Signale auf vielfältige Weise zurückfließen.
Weshalb tun Menschen sich mit dem Geben von Anerkennung eigentlich so schwer?
TDL: Auch wenn viele Leser dieses Artikels vermutlich hoch ausgebildet sind, werden wichtige Strategien des Selbst- und Emotionsmanagements in Schule, Ausbildung und Studium meiner Beobachtung nach kaum vermittelt. Der Normalbürger sammelt – Sie genauso wie Ihre Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzten – über den Tag gesehen deutlich mehr Negatives im Bewusstsein an, was auf unsere evolutionäre Störungsfokussierung zurückzuführen ist. Negativerfahrungen werden dadurch automatisch um ein Vielfaches stärker eingewertet als Positives. Diesen Mechanismus beschreibe ich in meinem Buch genauer. Selbstverständlich soll berechtigte Kritik „trotzdem“ immer auf konstruktive Weise geäußert werden dürfen. Doch lohnt es sich, um in einer Balance zu bleiben, den Fokus deutlich mehr auf die Wahrnehmung von Positivem zu richten und als Führungskraft dies auch öfter zu äußern. Andernfalls bleiben wir in einer permanenten emotionalen Unterdeckung, die uns und unserem Umfeld auf die Stimmung drückt. Auch Menschen, die Sie vielleicht von der Chemie her nicht so mögen, haben immer positive Persönlichkeitsmerkmale, Talente und Fähigkeiten, die hin und wieder aufrichtig gewürdigt werden können.
Indem eine Führungskraft das Positive deutlicher wahrnehmen lernt und es entsprechend benennt, werden die Mitarbeiter das automatisch spiegeln und beide Parteien sich gegenseitig das innere Bewertungskonto mit positiver Energie auffüllen. Wir bekommen im Leben stets auf vielfältige Weise das zurück, was wir an andere verteilen. Ich nenne es gerne: „Gib das, was Du bekommen möchtest-Prinzip“. Genau in diesem Aspekt braucht es gezieltes Training und das bewusste Herausgehen aus der persönlichen Komfortzone automatisierter Negativbeurteilungen. Strenge und scharfe Kommunikation, Durchholen von Konsequenzen und trennendes Verhalten brauchen wir nicht zu üben, das beherrschen wir Menschen meist im Schlaf. Mit dem genauen Gegenpol gelebter Wertschätzung müssen wir uns allerdings intensiver beschäftigen, da fehlt uns in der Regel ausreichendes Training, um diesen Aspekt analog routiniert abzurufen.
Ab einem gewissen Moment der persönlichen Entwicklung kann es dann später einmal sinnvoll erscheinen, sich als Mensch grundsätzlich unabhängiger von Lob & Tadel zu machen, um weniger manipulierbar zu sein und selbstbestimmter zu leben. Dieses auf einer Metaebene stattfindende „Trainingsprogramm“ setzt nach meiner langjährigen Erfahrung als Coach jedoch voraus, dass vorherige Entwicklungsstufen gemeistert sind. Dazu zählt ein virtuoser Umgang mit den hier besprochenen Themen. Insofern gilt es, nicht den zweiten vor dem ersten Schritt zu tun.
Welche Vorgehensweise empfehlen Sie Führungskräften, um ihre Mitarbeiter wertschätzend zu führen?
TDL: Meine erste Empfehlung lautet: Sprechen Sie bewusst und so häufig wie möglich anderen Menschen Ihre ehrlich gemeinte Anerkennung und Wertschätzung aus. Ein dabei zugewandtes Lächeln und warmherziger Augenkontakt kann diese Botschaften unterstreichen. Sowohl Mitarbeitern, Kollegen, Vorgesetzten als auch gegenüber Lebenspartnern, Ihren Kindern, Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten. Konzentrieren Sie sich auf erkennbare Stärken, Talente, Leistungen und positive Charaktereigenschaften Ihrer Mitmenschen, die Sie vielleicht sonst als selbstverständlich ansehen. Das Wenigste ist selbstverständlich, weil jeder Mensch auf diesem Planeten einzigartig ist und seine ganz individuelle Geschichte hat. Nach meiner Überzeugung das Mindestmaß an Respekt und Wertschätzung, die man einem anderen Menschen ausdrücken kann, ist es ihm das Gefühl zu geben ihn „zu sehen“, ihn also überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. So traurig es klingen mag, ist das in unserer heutigen Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit und für mich einer der Gründe, warum viele Menschen sich abgelehnt, einsam und wertlos fühlen – übrigens unabhängig von Hierarchiestufen und sozialen Schichten. Sagen Sie öfter Sätze, wie: „Danke, dass Sie…!“; „Prima, dass Sie meinen Auftrag fristgerecht erledigt haben!“; „Schön, dass ich Sie in meinem Team habe!“; „Ich schätze und mag besonders an Ihnen…!“; „Ich wollte Ihnen einfach mal sagen…“; „Ich freue mich jedes Mal, wenn Sie…!“; „Ich finde es toll, wie Sie…“. Und abends reflektieren Sie für sich: Wie habe ich mich heute dabei gefühlt? Welche Reaktionen haben ich bei meinen Mitmenschen wahrgenommen? Wie glaube ich, haben sich die anderen dabei gefühlt?
Welche Verhaltensstrategie können Sie Führungskräften noch empfehlen?
TDL: Eine weitere wunderbare Möglichkeit, anderen Menschen Anerkennung zu schenken, ist die Kunst des Smalltalk – aus meiner Sicht Königsdisziplin und „Muss“ für jede Führungskraft. Zwar scheint die Anwendung einfach, doch im Business ist diese in meinen Augen so bedeutungsvolle Fähigkeit bei Führungskräften noch viel zu wenig entwickelt. Führungskräfte, die Smalltalk als lästig empfinden und darauf verzichten, indem sie sich beispielsweise bewusst unlesbar und distanziert verhalten, zahlen dafür einen hohen Preis, weil ihre Mitarbeiter ihnen nicht wirklich vertrauen und damit auch nicht hinter ihnen stehen. Sobald Sie jedoch dafür sorgen, dass andere sich wohlfühlen, werden Sie sich automatisch selbst auch immer besser fühlen. So ungerecht es für Sie klingen mag, doch ist das häufigste Argument: „Dafür habe ich keine Zeit“, in meinen Augen ein Vorwand, um die persönliche Komfortzone nicht zu verlassen und das eigene Verhalten nicht ändern zu müssen. Interessieren Sie sich für die Welt Ihrer Mitmenschen, damit andere sich für Ihre Welt interessieren – zum Beispiel auch für Ihre unternehmerischen Ziele und Visionen. Falls eine Führungskraft überwiegend mit Pokerface und Distanziertheit agiert, werden deren Mitarbeiter aufgrund ihrer evolutionären Störungsfokussierung fein spüren, dass ihnen auf der emotionalen Ebene etwas vorenthalten wird. Das Unterbewusstsein wird flüstern: „Vorsicht, mit unserem Chef stimmt was nicht! Er verbirgt etwas vor uns. Er vertraut uns nicht!“. Das ist keine empfehlenswerte Grundlage für funktionierende menschliche Beziehungen, für ein Klima des Vertrauens und gegenseitiger Wertschätzung.
Im Smalltalk geht es primär darum, eine angenehme und zwanglose Atmosphäre zu schaffen und diese gemeinsam zu zelebrieren. Weniger geht es um einen tatsächlichen Inhalt. Smalltalk braucht auch nicht viel Zeit und ist trotzdem ein so wichtiges Ritual, in welchem Menschen sich in einem persönlichen Geben & Nehmen respektvoll, unverfänglich und oft auch humorvoll begegnen. Die tiefere Symbolik dieser eher kurzen Begegnungen lautet „Ich sehe und respektiere Dich“ und wird Länder- und Kultur-übergreifend blind verstanden. Es ist dadurch ein wichtiges Instrument, um menschliche Verbundenheit regelmäßig zu erneuern. Das Ganze ist als fortlaufender Prozess zu verstehen, und in der Lage, immenses Vertrauen aufzubauen. Trauen Sie sich, Ihren Mitmenschen noch viel mehr als sonst einen Wert zu geben, indem Sie Ihnen von Herzen täglich ein paar Minuten oder Sekunden Ihrer Zeit und Aufmerksamkeit widmen.
Geeignete und leicht verdauliche Smalltalk-Themen sind zumeist: das Wetter; der letzte oder der anstehende Urlaub; das Auto und die aktuelle Verkehrssituation; private Hobbies; Familie und Kinder; Fußball- oder andere Sportereignisse, sofern man keine eigenen Sichtweisen verteidigen möchte; vielleicht auch mal ein bisschen Flurfunk. Dagegen weniger geeignet sind erfahrungsgemäß politische oder religiöse Themen, da es hier oft unnötige Auseinandersetzungen über richtig und falsch geben kann. Ebenfalls außen vor lassen sollten Sie ein Tratschen über Kollegen, da es zumeist ein gemeinsames „drüber herziehen“ bedeutet, was Ihnen früher oder später auf die Füße fällt und für eine Führungskraft generell Tabu ist. Tasten Sie sich einfach locker an individuell geeigneten Themen heran und erfragen Sie viel die Welt und die Meinung des anderen. Genießen Sie dieses wunderbare Ritual und geben Sie dabei gerne auch eigenen Input, damit es sich für Ihren Gesprächspartner nicht nach einseitigem „Aushorchen“ anfühlt.
Wie gut vertragen sich eigentlich Nahbarkeit und Führungsautorität?
TDL: Es steht außer Frage, dass im Business oder im Privaten manchmal auch das Einhalten einer professionellen Distanz absolut sinnvoll ist. Doch tun wir uns mit „Distanzierung“ per se leichter, weil wir trennendes Verhalten und Vorsicht evolutionär aus dem Effeff beherrschen. Ich möchte Führungskräfte dafür begeistern, trennende bis angstmachende Verhaltensmuster und übermäßige Distanziertheit gegenüber Mitarbeitern in jedem Fall abzulegen, ihre Komfortzone mutig auszudehnen und mit den anvertrauten Personen in eine vertiefte menschliche Begegnung einzutreten. Das Zauberwort „Klarheit“ wird helfen zu erleben, dass Angst vor Autoritätsverlust durch z.B. blauäugiges Anbiedern, unangemessene Verbrüderung mit plumpen Grenzüberschreitungen unbegründet ist, sondern auf Basis einer belastbaren menschlichen Verbindung („Ich ok – Du ok“) auch viel einfacher konstruktives und inhaltlich präzises Feedback zu ungebührlichem Verhalten geäußert werden kann („Dein Verhalten finde ich so nicht ok“). Solches Führungsverständnis in Kombination mit Bewusstheit über die jeweils tangierte Ebene ist nach meiner Überzeugung eine wunderbare, wenn nicht sogar die beste Grundlage für nachhaltige Mitarbeiterzufriedenheit und eigenen Führungserfolg.
Ich bin mir sicher, Sie werden dadurch mit Ihren Mitarbeitern eine neue Welt der Zusammenarbeit kreieren. Und sollte es mal anders sein, bin ich mit meiner Expertise als Coach ja auch noch da.
Buchtitel: Leadership Excellence – Wirkungsvolle Führung durch Achtsamkeit
Autor: Thomas Damran Landsberg
Verlag: Books on Demand (BoD)
ISBN-13: 978-3750416116
Hardcover, 296 Seiten
Coaching – Training – Achtsamkeit
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