Körperreinigungszeiten gehören zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer bei seiner geschuldeten Arbeitsleistung so sehr verschmutzt, dass ihm ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Weg nach Hause ohne eine vorherige Reinigung des Körpers im Betrieb nicht zugemutet werden kann.
(Bundesarbeitsgericht, BAG, Urteil vom 23.04.2024 – 5 AZR 212/23 – amtlicher Leitsatz)
Die Parteien streiten vor dem BAG darüber, ob innerbetriebliche Umkleidezeiten, Wegezeiten vom Umkleideraum zum Arbeitsplatz und zurück und Körperreinigungszeiten zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehören.
Der Kläger arbeitet als vollzeitbeschäftigter Containermechaniker bei der Beklagten. Nach Betreten des Betriebsgeländes begibt er sich zu dem Gebäude, in dem sich der Umkleideraum mit den Duschen, das Zeiterfassungsterminal und sein Arbeitsplatz befinden. Im Umkleideraum zieht er die von der Beklagten gestellte Ar-beitskleidung an und verstaut seine private Kleidung in einem Spind. Vom Zeiterfassungsgerät in der Nähe, in dem er weisungsgemäß den Schichtbeginn eingibt, begibt er sich zu seinem 30 bis 40 Meter entfernten Arbeitsplatz. Er hat Container „in Ordnung zu bringen“, die auf Wechselbrücken geladen werden und muss ggf. rostige und schadhafte Stellen abschleifen und nachlackieren. Die Beklagte stellt Handschuhe, Schutzbrille und Atemmaske. Nach der Arbeit wäscht oder duscht er sich im Umkleideraum und lässt die verunreinigte Arbeitskleidung zur Reinigung im Betrieb. Dann gibt er im Zeiterfassungsgerät das Schichtende ein und verlässt den Betrieb.
Die Arbeitgeberin meint, die vom Kläger geltend gemachten Zeiten seien keine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Insbesondere das Duschen sei weder angewiesen noch aus Gründen des Gesundheitsschutzes erforderlich.
Beginnend mit der Jahrtausendwende haben die Senate des BAG eine inzwischen gefestigte Rechtsprechung zu den Voraussetzungen entwickelt, unter denen Umkleide- und Wegezeiten Arbeitszeit sind. Danach ist „Arbeit“ jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfüllt. Wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Arbeitskleidung vorschreibt und sich der Arbeitnehmer im Betrieb umkleiden muss, gehören Umkleidezeiten und Wegezeiten nach dem Umkleiden bis zum Arbeitsplatz und in umgekehrter Richtung daher grundsätzlich zur Arbeitszeit und sind auch zu vergüten. Da die Tarifverträge, die die Beklagte in ihrem Betrieb anwendet, nichts anderes regeln, hat der Kläger Anspruch auf die Vergütung für die Umkleidezeiten und Wegzeiten.
Erstmals hatte das BAG darüber zu entscheiden, ob es sich auch bei den Körperreinigungszeiten nach dem Ende der eigentlichen Arbeit um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt. Dies bedarf, so das BAG, einer differenzierten Beurteilung.
Danach sind Körperreinigungszeiten als Arbeitszeit anzusehen, wenn sie mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängen und deshalb ausschließlich der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dienen. Wenn die Körperreinigung durch den Arbeitgeber angeordnet wird oder zwingende arbeitsschutzrechtliche Hygienevorschriften eine Körperreinigung verlangen, besteht ein unmittelbarer Zusammenhang mit der eigentlichen Arbeitsleistung.
Ebenso handelt es sich um vergütungspflichtige Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer bei der auszuführenden Arbeit so sehr verschmutzt, dass ihm ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Weg nach Hause – entweder durch Nutzung des ÖPNV oder seines eigenen Fahrzeugs – ohne vorherige Körperreinigung im Betrieb nicht zugemutet werden kann. Orientierungshilfe hierzu können öffentlich-rechtliche und arbeitsschutzrechtliche Vorschriften geben (z.B. sehr stark schmutzende Tätigkeiten, Arbeiten mit stark geruchsbelästigenden Stoffen, Arbeiten unter besonderen klimatischen Bedingungen). Bei mäßiger Verschmutzung reicht ggf. bereits das Waschen der verschmutzten Körperteile. Und wenn es nur darum geht, die übliche Verunreinigung, Schweiß- und Körpergeruchsbildung nach einem Tag zu beseitigen, ist das Duschen oder Waschen im Betrieb keine ausschließlich fremdnützige Tätigkeit und damit nicht vergütungspflichtig.
Da die notwendigen Feststellungen im vorliegenden Rechtsstreit teilweise noch nicht getroffen waren, hat das BAG den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen. Diese hat nunmehr im Rahmen der vorstehenden Grundsätze bei wertender Betrachtung zu beurteilen, ob am Ende des Arbeitstages des Klägers Duschen oder Waschen oder gar keine Körperreinigung erforderlich und wieviel Zeit dafür jeweils aufzubringen war.
Fazit:
In Fortführung seiner Rechtsprechung zur Vergütungspflicht von Umkleidezeiten und Wegezeiten vom Umkleideraum bis zum Arbeitsplatz und zurück verlangt das BAG auch für die Vergütungspflicht von Körperreinigungszeiten, dass sie ausschließlich der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dienen. Dabei gelangt das BAG zu einer überzeugenden Differenzierung: es kommt nicht nur darauf an, ob der Arbeitgeber die Körperreinigung ausdrücklich angeordnet hat oder zwingende arbeitsschutzrechtliche Hygienevorschriften eine solche verlangen, sondern auch, ob und in welchem Ausmaß sich der Arbeitnehmer bei seiner Arbeitsleistung so sehr verschmutzt, dass ihm nicht zugemutet werden kann, seine Privatkleidung anzulegen und nach Hause zu fahren, ohne vorher zu duschen oder die verschmutzten Körperteile zumindest zu waschen. Im Einzelfall wird es sehr schwer feststellbar sein, was dem klagenden Beschäftigten zumutbar ist. Insoweit, so das BAG, kommt es nicht auf das subjektive Empfinden des Arbeitnehmers an, sondern auf die objektivierte Sicht eines verständigen Arbeitnehmers.
Ingrid Heinlein, Rechtsanwältin
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