Blick auf die Ernteerwartungen 2023

Regional und Global

Blick auf die Ernteerwartungen 2023

Die Ernte 2023 steht in den Startlöchern. AGRAVIS-Experte Bernhard Chilla erklärt, welche Auswirkungen das Wetter auf die bevorstehende Ernte hat, welche Exportpotentiale zu erwarten sind und wie es um die Versorgungslage steht. Die aktuelle Situation in einzelnen Regionen des AGRAVIS-Arbeitsgebiets beschreiben die Agrarhandel-Experten des Unternehmens. Sie geben auch Einschätzungen zu den Ernteerwartungen ab. Doch so viel vorab: Die Ernte wird zwar von heterogenen Wetterbedingungen beeinflusst, allerdings bestehen keine Lieferengpässe beim Erntegut.

Ausblick auf die Weizenversorgunglage 2023/24 vor der Ernte
Der Weizenmarkt für das Erntejahr 2023 steht wie im Vorjahr vor großen Herausforderungen. 2022/23 war das Getreidewirtschaftsjahr am Ende von den stark angestiegenen Exporten aus Russland und Australien geprägt. Diese waren im Vergleich zu 2021 stark angestiegen. Grund dafür war eine Steigerung der Weizenproduktion um 26 Millionen Tonnen bzw. 25 Prozent.

In Russland hat eine schnelle Getreidevermarktung höhere Priorität als die Einlagerung
Die Exporte aus Russland waren trotz Sanktionen wesentlich höher als im Juni 2022 im Markt erwartet wurde. Diese Erkenntnis sollte für das Wirtschaftsjahr 2023/24 im Hinterkopf bleiben. Wenn Russland ein hohes Exportpotential hat, dürften die Ausfuhren mit Beginn der Ernte hoch sein. Im Getreidemarkt fiel seit Anfang des Jahres 2023 auf, dass die Nachfrage erst nach einem kräftigen Preisrutsch der Getreidepreise wieder anstieg. Die deutschen Weizenexporte stiegen erst deutlich nach diesem Preisrückgang an. Diese Entwicklung zeigt deutlich, wie preiselastisch die Weltnachfrage (und Binnennachfrage) nach Agrarrohstoffen ist. Gleichzeitig deckt die verarbeitende Industrie nur den kurzfristigen Bedarf.

Nachfrage deckt den kurzfristigen Bedarf und ist preiselastischer als erwartet
Das betrifft nicht nur die internationale Nachfrage, sondern auch die Nachfrageentwicklung in Deutschland. Diese dürfte den Getreidemarkt in den kommenden Wochen weiterhin begleiten. Die Angebotslage rückt in den Vordergrund. Wichtig ist, dass nur eine deutliche Verschlechterung der Angebotslage im Vergleich zum Vorjahr die Marktlage nachhaltig verändert.

Ernteaussichten 2023 schwächeln in Deutschland, bleiben aber erheblich besser als im Vorjahr in Frankreich
Die Trockenheit in Deutschland dürfte die Ernteaussichten im Vergleich zum Vorjahr schmälern, so die ersten Schätzungen von Coceral oder dem Deutschen Raiffeisenverband DRV. Die Weizenproduktion in Deutschland soll laut der Expert:innen 2023 rund 0,5 bis 0,8 Mio. Tonnen niedriger ausfallen. Gleichzeitig wird ein signifikanter Anstieg der französischen Weizenerzeugung erwartet, der mögliche Ertragsverluste in Deutschland mehr als ausgleicht. Trotz lokal großer Wachstumsprobleme wird 2023/24 von einer höheren EU-Weizenproduktion als im Vorjahr ausgegangen. Im EU-Markt dürfte sich diese Angebotserwartung nur verändern, wenn die Weizenerträge in der Ernte doch noch negativ überraschen.

In Russland sind die Ernteaussichten 2023 überdurchschnittlich hoch – das Exportpotential dürfte hoch bleiben
In Russland steht für die Marktversorgung noch viel Weizen zu Verfügung. Die Überhangbestände aus der Ernte 2022 sollen enorm sein. Die Weizenproduktion soll im Vergleich zum Vorjahr zwar fallen, bleibt aber höher als im Mittel der Jahre 2017 bis 2021. Das Exportpotential Russlands dürfte sinken, doch ein Einbruch der Ausfuhren ist nicht zu erwarten. Bevor der „Kuchen“ verteilt wird, muss die Weizenernte allerdings erst eingefahren werden. Das Wetter zur Ernte im Juli könnte die Qualität und Quantität der Ernte 2023 noch entscheidend beeinflussen – und das nicht nur in Deutschland.

Ernteberichte aus den AGRAVIS-Arbeitsgebieten

Gemischtes Bild in Ostfriesland

Gerste, Weizen, Roggen und Triticale zeichnen unterschiedliches Bild
„Wir blicken bei den Kulturen in Ostfriesland auf ein unterschiedliches Bild“, erläutert Hilko Kroon, Getreidehändler bei der AGRAVIS Ems-Jade GmbH. Bei den Wintersaaten ist die Gerste gerade in der Abreife und die Kornfüllung ist beendet. „Hier sollte der Regen für gute Erträge ausreichend gewesen sein“, so Kroon. Der Weizen ist in der Kornfüllung und würde noch Wasser benötigen, um gute HKL-Gewichte zu halten. Die ersten Blätter rollen sich ein. Ähnlich geht es dem Roggen und der Triticale.

Aussaatbedingungen bei Sommerungen zu nass und zu trocken
Bei den Sommerungen war es generell bei der Aussaat zu nass, danach zu trocken. „Somit haben wir mittelmäßige Ertragserwartungen bei Hafer und Bohnen und die Sommergerste ist eher unterdurchschnittlich“, meint Kroon. Beim Mais zeigen sich auf der Geest überwiegend gute Bestände. Auf Marschflächen ist es ähnlich wie bei der Sommergerste eher problematisch.

Weniger Erntemengen bei knappem Laggerraum erwartet
„Die Getreideernte beginnt in der Regel Mitte Juli bei uns“, beschreibt der Fachmann. Bei weiter anhaltender Trockenheit reifen die Bestände sicher etwas schneller ab. Frühe Bestände könnten auch schon eine Woche eher reif sein. „Mit Blick auf die Erntemengen erwarten wir daher eher etwas weniger als im Vorjahr. Ein Grund ist auch, dass die Rapsanbaufläche vergrößert wurde und diese Flächen vorrangig beim Weizen fehlen.“ Allerdings gibt es in der ostfriesischen Region auch Landwirt:innen, die Mengen aus der vergangenen Ernte durchlagern wollen. „Somit gehen wir derzeit noch von knappem Lagerraum aus“, so Kroon.

Höchstens durchschnittliche Ernte im Osten

Ganzpflanzensilage wegen anhaltender Trockenheit
Die lange Phase der Trockenheit wirkte sich im Arbeitsgebiet der AGRAVIS Ost, das sich über Sachsen-Anhalt, Sachsen, Brandenburg und Thüringen erstreckt, deutlich auf die Landwirtschaft aus. Stark betroffen waren ab Mai die Bestände im Norden und Osten. Das Wintergetreide stand bevor der Regen im April ausblieb, noch sehr gut. Unter der trockenen Witterung haben vor allem die Gerste und der Roggen gelitten. Manche Betriebe mussten frühzeitig reagieren und bereits Teile ihrer Kulturen für Ganzpflanzensilage ernten.

Im Süden sorgten Niederschläge für etwas Entspannung
Im Arbeitsgebiet können Landwirt:innen vorübergehend aber ein wenig durchatmen: „Die Niederschläge der vergangenen Tage waren sehr willkommen. Für die Sommerungen waren sie ein Segen, aber auch der Weizen hat zum Teil noch profitiert“, berichtet Wilhelm Winkelmann, Leiter Agrarhandel der AGRAVIS Ost. Allzu große Erwartungen aber sollte niemand haben. Dem Raps beispielsweise fehlte vor allem in der Phase der Kornfüllung das dringend notwendige Wasser, was den Ertrag zusätzlich schmälern dürfte. „Aktuell gehen wir von einer maximal durchschnittlichen Ernte aus. Denn auch für die Gerste kamen die Niederschläge zu spät“, so Winkelmann.

Durchwachsene Ernteprognosen für den Süden Westfalens

Kulturen hatten schweren Start
Im südlichen Westfalen zeigt sich ein unterschiedliches Bild. „Auf schlechteren Standorten, zum Beispiel Kiesbereich oder steinigem Boden, zeichnet aktuell besonders der Weizen kräftig“, berichtet Frederik Fischer-Neuhoff, Sachgebietsleiter Pflanzenbau aus dem AGRAVIS Kornhaus Westfalen-Süd GmbH. Aufgrund des nassen Frühjahrs konnten viele Landwirtinnen und Landwirte Mais und Sommerungen erst spät aussäen. Viele Kulturen hatten einen schwierigen Start und zeigen daher noch eine zurückhaltende Entwicklung. „Wir rechnen mit größeren Ertragseinbußen beim Sommergetreide. Besonders schlecht sieht es bei Hafer und Sommergerste aus“, prognostiziert Fischer-Neuhoff. Beim Mais stellt teilweise Krähenfraß eine zusätzliche Schwierigkeit dar, so dass vielerorts Flächen nachgelegt werden. Auch das Grünland leidet, allerdings unter den zuletzt trockenen Witterungsverhältnissen. Für den zweiten Schnitt rechnet der Experte aus Westfalen-Süd mit einer deutlich kleineren Ernte.

Experte rechnet mit 15 bis 20 Prozent weniger Erträgen
Es gibt aber auch gute Nachrichten: „Die Wintergerste-Bestände sehen gut aus. Hier ist nur mit minimalen Ertragseinbußen zu rechnen. Ähnlich verhält es sich bei den früheren Weizensorten: Hier sehen die Bestände tendenziell besser aus“, so der Fachmann. Insgesamt können Landwirt:innenden Schätzungen zufolge ca. 15 bis 20 Prozent weniger Erträge im Vergleich zum Vorjahr erwarten. 2022 erzielte die Ernte aber rund 10 Prozent mehr Erträge als ein gewöhnliches Jahr.

Regen bringt Entspannung im südlichen Niedersachsen

Böden der ertragsstarken Regionen konnten genügend Wasser speichern
Im Arbeitsgebiet der AGRAVIS Niedersachsen-Süd GmbH fielen nach einem kalten und feuchten Frühjahr seit Beginn der Schoßphase und der Blüte des Rapses keine nennenswerten Niederschläge. „Dank der moderaten Temperaturen reichte der Wasservorrat im Boden für die ertragsstarken Regionen noch aus“, erklärt Rainer Widdel, gemeinsam mit Alexander Nergonewitsch Geschäftsführer der Gesellschaft. Anders sieht es jedoch nördlich der A 2 aus. „Auf den leichten Böden fiel das Wasserhaltungsvermögen zu gering aus und es ist zu Trockenschäden gekommen“, so Widdel.

Mais, Rübe und der späte Weizen freuten sich über Niederschläge
Der Regen der vergangenen Woche brachte regional unterschiedliche Niederschläge von 50 bis 150 Liter/qm. Das sorgte für Entspannung auf den Feldern. Vor allem der Mais und die Rübe profitierten davon. Auch der späte Weizen auf den Ton- und Lößboden konnte das Wasser gut gebrauchen. In den sandigen Regionen kam der Regen hingegen zu spät.

agrav.is/regionale-ernte

Die AGRAVIS Raiffeisen AG ist ein modernes Agrarhandelsunternehmen in den Segmenten Agrarerzeugnisse, Tierernährung, Pflanzenbau und Agrartechnik. Sie agiert zudem in den Bereichen Energie und Raiffeisen-Märkte einschließlich Baustoffhandlungen sowie im Projektbau. Die AGRAVIS-Gruppe erwirtschaftet mit über 6.600 Mitarbeiter:innen rund 9,4 Mrd. Euro Umsatz und ist als ein führendes Unternehmen der Branche mit mehr als 400 Standorten überwiegend in Deutschland tätig. Internationale Aktivitäten bestehen über Tochter- und Beteiligungsgesellschaften in mehr als 20 Ländern und Exportaktivitäten in mehr als 100 Ländern weltweit. Unternehmenssitz ist Münster.
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