Keine automatische Arbeitsunfähigkeit bei gesundheitlichen Einschränkungen des Arbeitnehmers

Eine Arbeitnehmerin (hier Krankenschwester), die aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, Schichtdienst zu leisten, ist nicht automatisch arbeitsunfähig. Ein Beitrag zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 9. April 2014 – 10 AZR 637/13 – von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin und Essen.

Ausgangslage:

Wenn Arbeitnehmer aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht in der Lage sind, ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, muss der Arbeitgeber auch nicht vergüten. Der betroffene Arbeitnehmer kann für sechs Wochen Entgeltfortzahlung und anschließend Krankengeld beanspruchen. Besteht die Einschränkung dauerhaft, muss der Arbeitnehmer mit einer krankheitsbedingten Kündigung rechnen. Ist der Arbeitnehmer nicht in der Lage, einzelne geschuldete Tätigkeiten auszuführen, entsteht schnell Streit darüber, ob dies schon eine Arbeitsunfähigkeit für die gesamte Tätigkeit begründet. Dies ist insbesondere auch relevant im Streit um die Wirksamkeit einer daraufhin ausgesprochenen krankheitsbedingten Kündigung.

Fall:

Im vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall ging es darum, ob eine Krankenschwester, die aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, Nachtschichten zu leisten, Anspruch auf Beschäftigung und Einteilung in die Dienstpläne ohne Nachtschichten hat. Der Arbeitgeber hatte eingewandt, dass nach dem Arbeitsvertrag im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten die Ableistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit vereinbart worden sei. Aufgrund einer mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarung sei eine gleichmäßige Planung u.a. in Bezug auf die Schichtfolgen der Beschäftigten anzustreben.
Die klagende Krankenschwester ist aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage Nachtschichten zu leisten, weil sie medikamentös behandelt wird. Nach einer betriebsärztlichen Untersuchung schickte der Pflegedirektor die Arbeitnehmerin nach Hause, weil sie wegen ihrer Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig krank sei. Die Klägerin bot demgegenüber ihre Arbeitsleistung – mit Ausnahme von Nachtdiensten – ausdrücklich an. Sie wurde aber zunächst nicht beschäftigt, erhielt zunächst Entgeltfortzahlung und bezog dann Arbeitslosengeld. Die Krankenschwester klagte durch alle Instanzen bis zum Bundesarbeitsgericht erfolgreich auf Beschäftigung und Vergütungszahlung für die Zeit der Nichtbeschäftigung.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Das Bundesarbeitsgericht ging davon aus, dass die Arbeitnehmerin weder arbeitsunfähig krank noch ihr die Arbeitsleistung unmöglich geworden sei. Sie könne alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Krankenschwester Rücksicht nehmen. Der Arbeitgeber müsse die Krankenschwester daher weiter beschäftigen.
Entsprechend folgerichtig verurteilte das Bundesarbeitsgericht den Arbeitgeber auch zur Zahlung des Arbeitsentgeltes für die Zeit, in der die Krankenschwester nicht gearbeitet hatte, weil sich der Arbeitgeber weigerte, sie zu beschäftigen. Für diese Zeit befand sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug, da die Verweigerung unberechtigt erfolgte. Die Krankenschwester hat ihre Arbeitsleistung ausdrücklich angeboten.

Fachanwaltstipp Arbeitnehmer:

Wenn Sie einzelne Bestandteile Ihrer Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr durchführen können, bedeutet dies noch nicht automatisch, dass sie den Anspruch auf Beschäftigung und Bezahlung insgesamt verlieren. Wenn die Tätigkeit an sich nicht mehr ordnungsgemäß erbracht werden kann, etwa weil ein Hilfsarbeiter auf dem Bau nicht mehr schwer heben darf, ist die Bewertung eine andere. Können aber nur einzelne Teilleistungen nicht erbracht werden, die unproblematisch von anderen Arbeitnehmern übernommen werden können, sieht die Sache anders aus. Hier ist der Arbeitgeber zu einer anderen Organisation verpflichtet.

Fachanwaltstipp Arbeitgeber:

Vorsicht mit der vorschnellen Annahme von Arbeitsunfähigkeit. Wer das Angebot des Arbeitnehmers, seine Arbeitsleistung zu erbringen, unbegründet ablehnt, schuldet später die Nachzahlung des Entgelts ohne eine entsprechende Arbeitsleistung erhalten zu haben (Annahmeverzug). Auch eine Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen wäre im vorliegenden Fall unwirksam gewesen. Wie man hier gesehen hat, hilft dem Arbeitgeber nicht einmal eine entgegenstehende Betriebsvereinbarung. Eine solche Betriebsvereinbarung muss Ausnahmen in bestimmten Extremfällen zulassen, sonst ist sie (partiell) unwirksam. Der Arbeitgeber ist dann auch nicht daran gebunden. Entsprechend könnte im vorliegenden Fall der Betriebsrat auch nicht aus der Vereinbarung gegen den Arbeitgeber vorgehen.

Quelle:

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. April 2014 – 10 AZR 637/13 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. Mai 2013 – 5 Sa 78/13 –

25.4.2014

Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Berlin und Essen.

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